Ich kam erst im Sommer ’89 nach Leipzig. Bis dahin arbeitete ich in der Lungenklinik in Zschadraß, bei Colditz. Ich wollte unbedingt nach Leipzig, das war schon immer mein Wunsch. Und ich wollte Gemeindeschwester werden. Es ergab sich zufällig, dass das gerade ’89 passierte. Eigentlich wollte ich schon viel eher nach Leipzig, aber das war nicht so einfach, in die Stadt zu kommen oder überhaupt umzuziehen. Man brauchte eine sogenannte Zuzugsgenehmigung, um eine Wohnung zu bekommen. Ich zog zu einer Freundin. So konnte ich den Behörden eine Adresse vorweisen und dann anfangen, in Leipzig zu arbeiten, in der Poliklinik Ost in Reudnitz.
Ich geriet direkt ins Geschehen, ohne dass ich das irgendwie geahnt habe. Ich arbeitete die ersten Wochen als Gemeindeschwester, und das war eine besondere Atmosphäre. Da gab es keinen Unterschied zwischen Arbeit und Privat. Es war eine Stimmung, wie kurz vor einem Gewitter, wenn die Luft ganz drückend ist, und jeder hofft, dass irgendetwas passiert, möglichst bald, und es kracht und knallt und hinterher ist alles sauber und rein. So habe ich das empfunden. Man wusste aber nicht, wann es endlich und vor allem, was dann passiert, und ob dann die Luft wirklich rein ist, man befreit ist – oder ob das Gewitter alles kaputt macht. Das kulminierte in der wichtigsten Demo am 9. Oktober (ich war zu keiner Demo vorher dabei – und auch zu keiner mehr hinterher). […]
Weiterlesen: in „Mutter sorg’ dich nicht. Hier ist alles in Ordnung. Alltägliches aus 1989“. Publikation der Frauenkultur Leipzig, 2009; 2. Auflage in 2021. Klick hier ->