Frauen*Bewegung(en) in der DDR vor 1989

Gab es eine „Frauen*Bewegung in der DDR?

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Aus unserer Sicht – die sich aus eigenen Erfahrungen und aktivem Handeln begründet – ist die zutreffendste Antwort: Ja. Aber nicht im Format der westlichen bzw. westdeutschen Frauenbewegung mit großen öffentlichen Protestdemonstrationen und gemeinsamen, deutlich sichtbaren Aktivitäten. Die Bedingungen in der DDR waren andere. Es gab u.a. nicht das Recht, Vereine zu gründen; es gab kein Demonstrationsrecht und keine Pressefreiheit. In der DDR waren freie zivilgesellschaftliche Aktivitäten wie nichtstaatliche Projekte offiziell nicht möglich.

Aber wie konnten Frauen* unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen öffentlich oppositionell aktiv werden? Was erlebten und forderten engagierte und aktiv handelnde Frauen* vor/während/nach 1989/1990 in der DDR? Welche Projekte, Vereine und Initiativen entwickelten sich daraus – und welche Fragen sind auch heute unverändert aktuell…

Diese Fragen stehen im Focus dieses Online-Projektes – mit dem Anliegen: Einen Überblick über die Entstehung der Nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR zu geben und um u.a. Entwicklungen und Zusammenhänge aufzuzeigen.

Die Sichtbarkeit der Geschichte von Frauen*, von Aktivistinnen* der DDR in der Vor- und Nachwendezeit geht für nicht wenige fast unmerklich verloren. Das Online-Projekt „www.frauen1989-leipzig.de“ ist folgend auch ein Angebot gegen das Vergessen unserer Geschichte(n) – und ein öffentliches Zeitzeugnis des aktiven Mitwirkens von Frauen* vor, während und nach 1989.

Und es ist leider ein Sachverhalt, dass im Querschnitt der öffentlichen Aufarbeitung der Friedlichen Revolution in den unterschiedlichsten Kontexten und Interpretationen das aktive Handeln und die zivilgesellschaftliche Unverzichtbarkeit von Frauen* in dieser Zeit nicht abbildet wurden bzw. werden.

Das Handeln von Aktivistinnen* in der DDR hatte in allen gesellschaftlichen Bereichen einen gleichberechtigten Anteil an den Veränderungen, die vor 1989 begannen – und nach 1989 weitergeführt wurden.

In diesen Bezügen werden Frauen* vorgestellt, die in den unterschiedlichsten Lebens- und Gesellschaftsbereichen vor, während und nach 1989 gesellschaftspolitisch aktiv waren – stellvertretend für alle nicht genannten Aktivistinnen*. Ebenso kommen Frauen* zu Wort, die aus ihrem „Alltäglichen 1989“ erzählen. Und auch wenn gesamtgesellschaftliche Perspektiven und Zusammenhänge der damaligen Zeit benannt werden, liegt der inhaltlich regionale Bezug auf Leipzig. Verbindungen, Netzwerke zu Aktivist:innen anderer Regionen sowie Verweise auf Forschungen und Initiativen finden sich in den einzelnen Texten und in den Links.

Mit dieser Webseite wollen wir interessierte Menschen mit und ohne DDR-Sozialisation erreichen – besonders auch jüngere, die durch ihr Alter diese Zeit nicht erlebt haben und meist nur sehr wenig darüber wissen. Individuelles Wissen und Erfahrungen zu teilen – vergrößert das Verstehen der Geschichte(n) eines Landes bzw. der Menschen, die in diesem Land leben – und damit Hintergründe unserer Gegenwart

Geplant ist es, diese Webseite stetig weiterführend zu erweitern.

… weitere allgemeine Alltagsperspektiven zur Frauen*Bewegung in der DDR

Es gab auf Grund der real existierenden sozio-ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern in der DDR im Querschnitt nur relativ kleine Gruppen von Menschen, die sich (meist im Privaten) mit geschlechtsspezifisch gesellschaftlichen Nachstellungen auseinandersetzten.

Über außerstaatliche Informationsmedien der 1970er und 1980er Jahre – wie „West-Fernsehen, West-Rundfunk und besonders deutschsprachige Literatur aus dem nichtsozialistischen Ausland“ – partizipierten politisch interessierte bzw. zumeist systemkritische Frauen* in der DDR in sehr unterschiedlichen Kontexten an den Frauen*Bewegungen in den USA, Frankreich oder der BRD. Feministische Literatur von West-Autorinnen (wurde privat von Reisen oder Besuchenden aus der BRD mit in die DDR gebracht und in privaten Netzwerken weitergereicht) – und auch bestimmte Werke von DDR-Autorinnen, die sich kritisch mit der gesellschaftlichen Situation von Frauen auseinandersetzten, trugen dazu bei, die Geschlechterverhältnisse differenziert(er) zu hinterfragen – wie z.B.

  • 1966 Der Weiblichkeitswahn oder Die Selbstbefreiung der Frau von Betty Friedan
  • 1970 our bodies ourselves | 1980 auf Deutsch: Unser Körper, unser Leben
  • 1974 Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz von Irmtraud Morgner
  • 1974 Franziska Linkerhand von Brigitte Reimann
  • 1975 häutungen von Verena Stephan
  • 1983 Kassandra von Christa Wolf


Mit zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen in den 80er Jahren – u.a. im Kontext wirtschaftlicher Alltagsprobleme, gravierender Umweltschäden in der DDR und weltweitem atomaren Aufrüsten – entwickelten sich meist „unter dem Dach der Kirche“ erste bürger:innenrechtliche Oppositionsbewegungen. Die evangelische Kirche in der DDR bot die Möglichkeit, sich zu versammeln, thematisch in Gruppen zu arbeiten. Das nutzten auch atheistische Menschen, die sich engagieren wollten.

Zahlreich organisierten sich Menschen in der Bewegung für die „Bewahrung der Schöpfung“ zum Thema Umweltschutz: 1979 starteten die ersten Baumpflanz-Aktionen in Schwerin, die sich DDR-weit ausbreiteten – unter Beteiligung besonders junger Frauen* und Männer*. 1981 fand der erste Welt-Umwelttag unter dem Motto statt: „Mobil ohne Auto”. Es gab 1982 bis 1984 kirchliche „Radsternfahrten“ – thematische Wochenenden mit 500 bis 700 Jugendlichen. Organisiert wurden zahlreiche Proteste gegen das Waldsterben, gegen Atomkraft; in der Region Halle/Leipzig gegen die Folgen des Braunkohle-Abbaus und der chemischen Industrie. Immer waren Frauen* in der Vorbereitung und Durchführung gleichermaßen aktiv.

Um die DDR-Frauen*Bewegungen nachvollziehbar zu skizzieren, ist es notwendig, diese verschiedenen Formen des aktiven Tuns und Teilhabens von Frauen in der DDR zu thematisieren* – zum einen, weil engagierte Akivistinnen* der DDR-Frauen*Bewegung aus der Friedens- und Umweltbewegung hervorgingen. Zum anderen, weil es vielen Menschen nicht oder nicht mehr bewusst ist, welchen Beitrag Frauen* geleistet haben – vor und in der Zeit der Friedlichen Revolution: Frauen* wirkten damals ganz selbstverständlich in unterschiedlichster und maßgeblicher Weise an allen Prozessen gesellschaftlicher Veränderungen mit.