„Zaunreiterin“: Eine Zeitschrift von Frauen für Frauen

Unabhängige Publikationsöffentlichkeit in der DDR vor & um 1989

Informationen, Sichtweisen, Ankündigungen oder Aufrufe mit anderen Gruppen zu teilen, war sehr beschränkt möglich. Sehr viele Menschen besaßen kein Festnetztelefon. Eine oft genutzte Möglichkeit des Austausches und des Netzwerkens waren Drucksachen, die ohne staatliche Genehmigung gedruckt werden konnten, wenn es weniger als 100 Exemplare waren. Viele Flugblätter und Infomaterialien erschienen deshalb wiederum „unter dem Dach der Kirche“ und trugen den Stempel „Nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch“.

Von einzelnen Frauen*Gruppen wurden in kleiner Anzahl selbst hergestellte „Zeitschriften“ herausgegeben wie das „Lila Band“ [1987 – 1989] aus Dresden oder „frau anders“ [Beginn 1989 – 1993] in Jena – selbst gefaltete Hefte in A5-Format.

In Leipzig gab es 1988 die Samisdat-Zeitschrift „GlasNot“ Zeitschrift [Zeitschrift im Selbstverlag und im Untergrund], welche in einer Auflage von 50 Exemplaren verteilt wurde. Da die Aktivist:innen dieser Zeitschrift aufgrund ihrer Ausreise aus der DDR aufhörten, wurde privat an eine befreundete Person die Anfrage gestellt, diese Zeitschrift zu übernehmen. Diese nahm die Frage mit in einen selbstorganisierten Eltern-Kreis: “Wir waren damals eine Gruppe von Frauen (und einigen Männern), die sich u.a. mit Feminismus, Frauenbewegung und fehlender Gleichstellung von Frauen in DDR auseinandersetzte.”

Daraufhin gründeten fünf Frauen die unabhängige Frauenzeitschrift „Zaunreiterin“, um Themen im Kontext von umfassender Gleichberechtigung öffentlich zu diskutieren, die in der DDR keine selbstverständliche Öffentlichkeit hatten.

Chronologische Momentaufnahmen der Entwicklungsgeschichte der Zaunreiterin von 12-1988 bis 12-1991

Die Gruppe traf sich im Winter 1988/1989 die ersten Male. Im Mai 1989 wurde das Projekt auf dem DDR-weiten Frauen*Treffen in Jena vorgestellt. Die Nullnummer erschien im Dezember 1989, die erste gedruckte Zeitschrift Anfang März 1990.

„…auch wir empfinden ein Ungleichgewicht zwischen gesellschaftlichen Normen und unseren eigenen Vorstellungen, ob politisch, wirtschaftlich oder sozial. Was wir als Frauen wollen, ist mehr als Gleichberechtigung, es ist etwas Anderes. Gleichberechtigung hieße für uns, teilhaben am Vorrecht der Väter, hieße ihre Gesetze und Werte gutheißen, hieße, an ihrem Glauben teilhaben. Wir werden uns zuerst auf unser Frausein einlassen, es entdecken, von unserem Empfinden reden…“ [aus Zaunreiterin Nr. 1 | 03-1990]

1989

03|1989
Anfrage zur Übernahme der Untergrundzeitschrift „GlasNost“

04-05|1989
Überlegungen der Weiterführung als Zeitschrift aus „feministischer Sicht“: Zeitschriften-Arbeitstitel 1: Glashaus || Zeitschriften-Arbeitstitel 1: Macht los

26.-28.05.1989
Vorstellung der Idee der Zeitung auf dem 6. Frauengruppentreffen „Zwischen Aufbruch und Beharren“ (der evangelischen Kirche) in Jena | ca. 300 Teilnehmerinnen aus ganz Ostdeutschland

22.11.1989
Versammlung Leipziger Frauengruppen in der evangelischen Trinitatiskirchgemeinde Leipzig-Reudnitz

13.12.1989
Herausgabe der Nullnummer

1990

17.01.190
Haus der Volkskunst Frauen-Aktionstag mit Infostand Zaunreiterin; Spenden sammeln

15.03.1990
Erste Ausgabe der Zaunreiterin in den Druck gegeben

18.03.1990
Volkskammerwahlen

28.03.1990
erste Zaunreiterin-Ausgabe aus der Druckerei geholt

06.04.1990
Gewerbeanmeldung durch C. R. – „Eröffnung des Verlages Zaunreiterin“ in Leipzig 7050, Elsastraße 12

26.04.1990
Artikel in der Leipziger „Union“ Ansprüche und Befindlichkeiten im Frausein von Maritta Angotti nach einem Interview mit C. R.

06.05.1990
Kommunalwahl Leipzig

25.06.1990
Demonstration gegen den Paragrafen 218 auf dem Marktplatz in Leipzig
Im Juni 1990 wurde der Staatsvertrag zur Deutschen Einheit verhandelt. Aus diesem Grund hatte die Fraueninitiative Leipzig zu einer Kundgebung und Demonstration für die Beibehaltung der in der DDR üblichen Fristenlösung des Paragrafen 218 am 25. Juni 1990 aufgerufen. Zaunreiterinnen waren dabei.

15.09.1990
Zaunreiterin-Stand zum Fest im Frauenkulturzentrum in der Löbauer Straße 49 in Leipzig – organisiert von Lila Pause, RosaLinde und Rosa Archiv.

11 |1990
Zaunreiterin-Aufruf zur Mitarbeit und Bitte um Zuschriften in den „Frauenblättern“ der Leipziger Frauenini

1991

18.12.1991
Verleihung der Preise „Frauen-Initiativen in den neuen Bundesländern“ durch die Bundesfrauenministerin Angela Merkel

Aus der Laudation der Vorsitzenden der Jury, Dr. Edith Niehuis, MdB, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend:

Ein Projekt, dass sich in besonderer Weise in diesem Sinne verdient gemacht hat, möchte ich abschließend vorstellen. Es ist von der Jury nicht mit einem Geldpreis, dafür aber mit um so mehr Interesse bedacht worden. Wir haben uns überlegt, dass wir mit diesem Projekt wirkungsvolle Unterstützung bieten, wenn wir im Rahmen eines vierten Preises bei dieser Preisverleihung auf es hinweisen, ja, dafür werben. Es handelt sich u die Leipziger Projektgruppe „Zaunreiterin“, die gleich nach der Wende die gleichnamige Zeitschrift „Zaunreiterin“ herausbrachte […]

31.12.1991
Gewerbeabmeldung der Zaunreiterin durch C. R. beim Finanzamt

Die gesellschaftlichen und persönlichen Situationen hatten sich in den ersten Jahren der Deutschen Einheit verändert – damit natürlich auch das Projekt Zaunreiterin. Das ist eine immanente Dimension aller Prozesse und Entwicklungen. Folgend war das Jahr 1992 auch verbunden mit mehreren personellen Veränderungen. Für wichtige Projekt-Akteuerinnen der “ersten Jahre” begannen neue Wege – jenseits des “Projektes Zaunreiterin”. Andere Projekt-Akteurinnen der Zaunreiterin übernahmen.

Das Projekt Zaunreiterin hat nach den Nummern 0 bis 6/7 der Jahre 1989-1991 noch weitere sieben Zaunreiterinnen bis 1995 veröffentlicht.